- Die Logistik des Varus - http://www.logistik-des-varus.de -

Varusschlacht: Dios Todesmarsch – eine Dolchstoßlegende?

von Dr. Helmut Förster, Essen

Es ist das Verdienst von Paul Höfer, das Dogma des Cassius Dio vom Todesmarsch der Varuslegionen als einzig seriöse Quelle in Frage gestellt und dafür den Blick für die grundsätzlich anderen Versionenfreigemacht zu haben, mit immer noch gültigen Konsequenzen für den „mutmaßlichen Originalschauplatz“ der Varusschlacht“ [Moosbauer, Die Varusschlacht].

I Quellenvergleich

Dios Bericht ist der jüngste und unterscheidet sich grundlegend von allen anderen, die alle ohne Widersprüche (Höfer) zu einander passen. Dio stützt sich auf „Senatsakten“ aus der augusteischen Zeit, deren Wahrheitsgehalt er selbst relativiert (Meinung der Herrschenden).

Dennoch gilt Dio als authentisch, während Florus Unzuverlässigkeit unterstellt wird, Dabei ist Florus der Verfasser einer Geschichtsschreibung, die die Ruhmestaten der Römer hervorhebt (Epitoma de Tito Livio bellorum omnium annorum DCC libri duo). Wenn er ausgerechnet die äußerst unrühmlichen Umstände einer gravierenden Niederlage des röm. Heeres beschreibt, sollte das eigentlich seine Glaubwürdigkeit erhöhen.

II Florus Lagerschlacht

Die Schlacht im Teutoburgerwald war nach Florus eine Überrumpelung des ahnungslosen Varus im eigenen Lager. Seriöse Kronzeugen wie Tacitus und Veilleius Paterculus lassen sich mit diesem Szenario durchaus vereinbaren. Tacitus protokolliert die Aussagen von Überlebenden bei der Begehung des Varusschlachtfeldes durch Germanicus 6 Jahre nach der Niederlage also im Jahre 15 n. Chr.:

„…hier seien die Legaten gefallen, dort die Adler geraubt, …wo Varus die erste Wunde …; auf welcher Erhöhung(Tribüne) Arminius zum Heer gesprochen und wie er mit den Feldzeichen und Adlern voller Übermut seinen Spott getrieben habe.“(Tacitus,Ann.I,661-63)

Auch das der „Lagerkommandant“ Ceionius kapituliert, ist ein weiteres Indiz.

III Die „Unglücksstätte“

Die Unglückstätte wird von Tacitus im selben Atemzug mit dem „Prima Vari castra“. erwähnt. Dieses Varuslager muß also unmittelbar etwas mit der Schlacht zu tun haben. Man kann es mit „Primärlager des Varus“ übersetzen, denn es hat die Ausmaße von drei Legionen. Es nur an der Weser zu verorten, ist weder nach den Quellen noch nach militärischen Gesichtspunkten eindeutig zu belegen.

Die Bezeichnung „Prima“ auf das zuerst entdeckte Lager zu beziehen, ändert es nichts an seiner Größe. Wäre es ein „Marschlager“ gewesen, hätte es entsprechend der schrumpfenden Zahl der Legionäre unter den bekannten Kampfbedingungen deutlich kleiner sein müssen als für üppige drei Legionen.

Ohne irgendeine örtliche Distanz von diesem ersten Lager zu nennen, erwähnt Tacitus als nächstes einen „halbeingestürzten Wall“ und einem „niedrigen Graben“. Genau genommen beschreibt Tacitus gar kein zweites eigenes Lager, sondern eher nur Teile davon.

IV „Lager im Lager“

Es kann sich also genauso gut um eine kleinere provisorische Verteidigungsanlage innerhalb des Hauptlagers handeln, hinter die sich die „zusammengeschmolzenen Reste“ der Legionäre verschanzt haben. Nichts spricht dagegen, dass es sich um ein Rückzugslager im Lager handelt!

Dessen Wall hat Zerstörungsspuren. Warum sollte Tacitus diese an den Wällen des Hauptlagers, wenn es sie gegeben hätte, verschweigen? Unzerstörte Lagerwälle sprächen für Florus!

Wären die Lager örtlich getrennt gewesen, hätte Germanicus- von Lippe- und Ems-, von Westen kommend, also von dort, wohin die Überlebenden geflohen waren, nämlich „zum Rhein“ (Velleius Paterculus), zuerst auf ein kleineres stoßen müssen.

Dann hätte er auch an zwei Stellen auf sterbliche Überreste stoßen müssen. Diese liegen nicht- wie eigentlich nach Dio zu erwarten- in unwegsamen Urwald, sondern „zerstreut und in Haufen“ („medio in campo“ Tacitus) mitten auf einem ebenen freien (unbewaldeten, sonst hätten sie bleichen können) Feld.

V „medio in campo”

Dass ein solcher „Campus“. ausgerechnet zwischen den beiden Lagern liegen soll und noch dazu in einer wilden Wald- und Sumpfgegend, ist äußerst unwahrscheinlich. Der „Campus Martius“, das Marsfeld in Rom, ist auch kein gewöhnliches ebenes Feld, sondern ein Versammlungs- und Kultplatz.

Campus bedeutet in diesem Kontext am ehesten der zentrale Aufmarsch- und Versammlungsplatz analog dem Begriff Universitäts-„campus“ (s. auch im Englischen). In jedem römischen Lager gibt es einen solchen freien Patz vor dem Feldherrngebäude, wo Ansprachen und auch Gericht gehalten wurde.

Wenn die Gebeine überwiegend auf diesem Campus gefunden werden, lagen sie demnach innerhalb des Lager.

VI „die Heiligen Haine“

Außerhalb des Lagers werden lediglich die Gebeine der höheren Offiziere gefunden. Sie waren in „benachbarten heiligen Hainen“ nach der Schlacht geopfert worden (Tacitus). Benachbarte Kultstätten kann man nur im lippischen Teil des Teutoburgerwaldes finden, z.B. die Externsteine, nicht im Wiehengebirge.

VII Gefallenen-Tumulus

Germanicus bestattet nun die Gebeine der Gefallenen mit allen militärischen Ehren in einem Tumulus (Dio, Tacitus, Sueton) , einem großen Grabhügel im Jahre 15 n. Chr.. Danach kehrt er gemeinsam mit Caecina wieder zurück an die obere Ems, auf der er den Rückweg antritt. Caecina soll so schnell wie möglich zum Rhein zurückzukehren. Caecina nimmt einen älteren römischen Dammweg mit vielen Brücken durch „ausgedehnten Sümpfe“, die „pontes longi“, weil sie ihm den kürzesten Weg von der Ems zur Lippe ermöglichen. Seine vier Legionen geraten dabei in eine äußerst gefährliche Situation. Schon ein scheuendes Pferd löst eine Massenpanik im Lager aus, wohl weil alle das Schicksal ihrer Kameraden im Varuslager noch frisch vor Augen hatten. Ein versteckter Hinweis auf die Authentizität des Florus.

Nach dem Abzug der Germanicuslegionen zerstören die pietätlosen Germanen den Tumulus sofort wieder und noch dazu den an der Lippe liegenden Drususaltar, errichtet für Drusus, der dort 9 vor Chr. an der Lippe verstorben war.

Das kann Germanicus auf keinen Fall dulden, schließlich handelt es sich um den Gedenkaltar für seinen Vater. Im nächsten Frühjahr des Jahres 16 n. Chr. zieht er also als erstes an die Lippe, um den Drususalter wiederherzustellen.

„Den Tumulus (der Varuslegionäre) wiederherzustellen, hält er jedoch nicht für ratsam“ ( „haud visum“ Tacitus). Verständlich nach der Beinahe- Niederlage des Caecina an den pontes longi. Dass er die Wiederherstellung aber von dieser Stelle, also von der oberen Lippe aus, überhaupt in Erwägung zieht, und damit für machbar hält, ist ein weiteres Indiz für die Nähe des Varusschlachtfeldes zur oberen Lipperegion.

Germanicus hätte im nächsten Jahr, auf seinem Weg zu den Weserschlachten (Idistaviso und Angrivarierwall), den Tumulus wiederherstellen können. Trotz seiner Anwesenheit in dieser Gegend -die Beschreibung auf dem Rückweg vom Angrivarierwall passt auffallend gut zu Kalkriese (Tacitus) unterlässt Germanicus die Wiederherstellung, was nur daran liegen kann, dass sich der Tumulus eben nicht im Wiehengebirge befunden hat. Selbst Mommsen räumt ein „Die Örtlichkeit, in welcher Germanicus in 15 die Gefallenen begrub und der zweiten Schlacht in 16 sind selbstverständlich verschieden.“

VIII Der Umweg von Rheine über Paderborn ins Osnabrückerland

Warum hat Germanicus das Schlachtfeld im Jahre 15 nicht direkt angesteuert, wenn es denn im Wiehengebirge gelegen hätte. Von Rheine aus (mittlere Ems), sind es nur 55km bis Kalkriese. Es macht überhaupt keinen Sinn, dass Germanicus eine wesentlich längere nach Süden ausholende Route wählt, ein Umweg von ca. 200 km Länge (Google Earth zu Fuß ) über “Paderborn ins Osnabrückerland“? Noch dazu viel gefährlicher- die Gegend wurde von Arminius kontrolliert. Einem Feldherrn wie Germanicus ist das wohl kaum zu unterstellen. Ein weiteres Indiz gegen die Varusschlacht im Wiehengebirge.

Moosbauer: Die Varusschlacht, Seite 101 [1]

Moosbauer: Die Varusschlacht, Seite 101

IX Das Auffanglager an der oberen Lippe – Aliso

Die Überlebenden fliehen westwärts zu den sicheren Lager an der Lippe. Das nächst liegende Lippe-Lager, was auch Mommsen an der oberen Lippe lokalisiert, ist Aliso, das auch von Frauen und Kinder erreicht wird und zwar am Abend der Schlacht (Tacitus). Bei einer Tagesleistung von 20 bis 30km kann man vom Osthang des Teutoburgerwaldes die Umgebung von Anreppen erreichen.

X Paul Höfer – Die Varusschlacht

Aus diesen Argumenten, die alle quellenmäßig belegt sind, folgert Paul Höfer in seinem Buch über „Die Varusschlacht ihr Verlauf und ihr Schauplatz [2]“: Verlag Duncker und Humblodt, Leipzig 1888, aktualisierte 2. Auflage: Verlagshaus Monstein und Vannerdat [3]OHG Münster 2009:

„Wenn die Zeugnisse auch nicht ausreichen, Ort und Stelle genau zu bestimmen, so enthalten sie doch über die Gegend der Schlacht so bestimmte Angaben, dass eine Verlegung nach Barenau (Kalkriese) nicht möglich ist.“

Unterstützt wird er von Leopold von Ranke: „Florus und Velleius Auffassung scheinen mir in allen Punkten die glaubwürdigeren zu sein.“

Der Urwald-Marsch des Dio ist eher eine „Dolchstoßlegende“ des Augustus, die den Ruf der römischen Armee retten soll, allerdings eine so gekonnte, dass bis heute nicht an ihr gezweifelt wird. – nicht ohne Grund, denn ohne diesen Marsch hätte Varus niemals das Wiehengebirge erreichen können. Insofern wird der „Kunstgriff“ (Wiegels) bei der Auswahl der Quellen verständlich.

Inzwischen mehren sich kritische Stimmen angeführt von Prof. Schoppe (Hamburg), die keine Evidenz für die Präsenz von Varuslegionen in Kalkriese finden, sondern viel mehr für die des Germanicus!

Paul Höfers wissenschaftliche Erkenntnisse haben damit das Tor für eine grundlegend neue Diskussion aufgestoßen.