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Paul Höfer: Die Varusschlacht. Eine reichlich verspätete Rezension

von Andreas Otte

aus Zeitensprünge 2/2009 [1]

Das im Folgenden besprochene und vorgestellte Buch Die Varusschlacht, ihr Verlauf und ihr Schauplatz von Paul Höfer ist im Jahre 1888 erschienen, also vor über 120 Jahren. Dass es trotzdem Sinn macht, ein so altes Buch vorzustellen, wird sich im Folgenden zeigen. Anlass ist natürlich das Jahr 2009 als Jubiläumsjahr der Varusschlacht, eine mittelalterliche Phantomzeit [2] einmal unberücksichtigt gelassen.

Zur Person

Paul Höfer wurde in Craja (heute Kraja, Kreis Nordhausen) am 11. März 1845 geboren. Er besuchte das Gymnasium in Mühlhausen und studierte anschließend an den Universitäten Halle und Göttingen Philologie, Philosophie und Geschichte. 1870 wurde er zum Dr. phil. promoviert mit einer Arbeit über Die Bedeutung der Philosophie für das Leben. Danach trat er Stellen als Gymnasiallehrer in Göttingen, Spandau und zuletzt Zerbst an, wo er 1877 zum Oberlehrer befördert wurde.

Er widmete sich in späteren Jahren verstärkt historischen Studien, die er in entsprechenden Zeitschriften und Büchern veröffentlichte. Außerdem wurde er Konservator des Fürst-Stolberg-Museums in Wernigerode. Ab 1909 betreute Höfer das Altertumsmuseum in Bernburg und zuletzt das Städtische Museum in Blankenburg. Auch an mehreren Ausgrabungen, wie zum Beispiel auf der Ruine Königsburg oder der vermeintlichen Pfalz Bodfeld, war er beteiligt.

Paul Höfer starb am 18. Oktober 1914.

Zur Entstehungsgeschichte des Buches

Einen auf der Philologen-Versammlung in Dessau 1884 vorgestellten Text Der Feldzug des Germanicus im Jahre 16 n. Chr. publizierte Höfer noch im selben Jahr als Buch, 1885 in einer zweiten Ausgabe. Nach genauester Analyse der Quellen (Tacitus Annalen) und Berücksichtigung auch der kleinsten Hinweise zur Topographie lässt er darin den Germanicus mit 8 Legionen auf dem Rückweg von der Idistaviso-Schlacht zur Ems entlang der nördlichen Seite des Wiehengebirges ziehen. Bei Wehrenburg an der Hunte (nur wenige Kilometer von Kalkriese) kommt es dann nach Höfer zur Schlacht am Angrivarierwall.

Zur Unterstützung seiner These erwähnt Höfer schon über ein Jahrhundert  früher dokumentierte, aber damals verloren geglaubte römische Münzfunde bei Barenau, ganz in der Nähe von Kalkriese und nur 7 km von der Wahlburg entfernt. Höfer gelingt es, die Münzen zu besichtigen und im Germanicus-Buch zu dokumentieren. Diese Information gelangt auch zu Theodor Mommsen, der sogleich einen Antrag zur Erforschung bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin stellt und Herrn Menadier zur Untersuchung der Münzen nach Gut Barenau schickt. Stolz berichtet Höfer in den Vorbemerkungen zur zweiten Ausgabe des Germanicus-Buches von diesem Vorgang.

Nur wenige Monate später erscheint jedoch ein kleines Büchlein von Mommsen: Die Örtlichkeit der Varusschlacht, einige Monate später (Frühjahr 1885) ebenfalls in zweiter Ausgabe. In diesem Büchlein verortet Mommsen die Varusschlacht allein auf Grund des Münzbefundes in der Gegend von Barenau und kritisiert den Nichtnumismatiker Höfer unter anderem für einige wenige Fehler bei der Dokumentation der Barenauer Münzfunde, die in der zweiten Ausgabe des Germanicus-Buches korrigiert wurden. Gerade über diese Korrektur erregt sich Mommsen besonders, woraus man nur schließen kann, dass er den Ergebnissen des Höfer-Buches ansonsten sachlich wenig entgegenzusetzen hatte. Er muss jedoch etwas dagegen vorbringen, denn die Regionen der Feldzüge des Jahres +15 (in dessen Verlauf das Varusschlachtfeld besucht wurde) und des Sommers des Jahres +16 sind nach den Quellen nicht identisch. Sein Ort der Varusschlacht kann daher nicht auf dem Weg des Germanicus-Feldzuges aus dem Sommer 16 n. Chr. liegen.

Es entspannt sich ein in Zeitschriften und Zeitungen ausgetragener Kampf mit Mommsen und seinen Anhängern [z.B. Höfer 1885b; 1887]. Theodor Mommsen ist ein mächtiger Mann, dessen Wort in diesen Fragen fast schon Gesetz ist. Entsprechend der vorherrschenden Autoritätsgläubigkeit – ein auch heute nicht ganz unbekanntes Phänomen – scheint damit die Frage nach dem Ort der Varusschlacht in der Öffentlichkeit entschieden zu sein. Anders lautende Meinungen werden mit den auch heute nicht unüblichen Methoden behandelt, [3] ins Abseits gestellt und dem Vergessen überantwortet. Das bekommt auch Höfer zu spüren. In seinem Bemühen, sich der Anfeindungen zu erwehren und in ähnlicher Weise, wie er schon den Feldzug des Germanicus untersuchte, auch die Varusschlacht zu dokumentieren, kommt es zu einer Überforderung, die ihn erkranken lässt und für ca. eineinhalb Jahre am Schreiben hindert. So erscheint Die Varusschlacht, ihr Verlauf und ihr Schauplatz erst 1888 und ist auch ein Anti-Mommsen-Buch, indem er dessen Praktiken im Umgang mit anderen Forschern durchleuchtet.

Zur Methode

Höfers bereits im Germanicus-Buch deutlich gewordene Methodik besteht im Wesentlichen in einer sehr genauen Analyse geographischer und topographischer Details in den Quellen. Das bedeutet aber nicht, dass er ein ‘Schreibtischtäter‘ ist, im Gegenteil. Wie kein anderer hat er nach der Untersuchung der Quellen und der genauen Aufnahme der Merkmale die in Frage kommenden Gegenden bereist, Gespräche mit lokalen Forschern geführt, Fundberichte dokumentiert usw. Das unterscheidet ihn von z.B. Mommsen, der die Frage der Örtlichkeit an seinem Schreibtisch klärte. Höfers starke Anlehnung an die Quellen bedeutet nicht, dass er diesen blind vertraut. Mit viel Aufwand prüft er deren Zuverlässigkeit und Genauigkeit. So scheidet er nach genauer Untersuchung den Text des Cassius Dio als verlässliche Quelle über die Varusschlacht aus. Dieser basiert für ihn auf den geschönten (gefälschten) Senatsakten; die Schlachtbeschreibung sieht er mit kleinen Änderungen bei Cäsar abgeschrieben. Immer lässt er Raum für abweichende Auslegungen. Etymologische Argumente und Funde spielen bei Höfer nur eine bestätigende Rolle, sind nie der Ausgangspunkt einer Hypothese.

Klar erkennt er, dass damals wie heute Funde als Glücksfall für die Forschung gelten müssen. Viele Funde auf altem Kulturland in früheren Jahrhunderten sind zwar erwähnt, aber nicht erhalten, alte Wälle sind lange eingeebnet. Nur auf nie beackertem Gemeindeland (z.B. Wälder) hat man noch gute Chancen auf Funde, wie sich kürzlich mal wieder bei Kalefeld gezeigt hat.

Zum Inhalt

Die Verortung des Kastells Aliso ist eine wichtige Vorarbeit für die Ermittlung des Varus-Schlachtfeldes, denn Überlebende der Katastrophe konnten sich dorthin retten. Es muss also in erreichbarer Nähe liegen. Dass Aliso an der Lippe liegen soll, wird auch von Mommsen nicht bestritten, er muss dann jedoch die Flüchtlinge der Varusschlacht ignorieren; denn eine Flucht nach Aliso macht von Barenau aus überhaupt keinen Sinn.

Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit den Münzfunden von Barenau. Hier zerlegt Höfer nach allen Regeln der Kunst die Ansicht Mommsens, man könne aus den Fundorten der Münzen bei Barenau auf deren Abstammung aus einer Schlacht schließen, noch dazu der Varusschlacht.

Das Ausscheiden des Cassius Dio-Textes als Quelle über die Varusschlacht führt zu einem gänzlich anderen, nämlich einem im Wesentlichen stationären Bild der „Schlacht“, als es heute im allgemeinen dargestellt wird und bildet einen wesentlichen Schlüssel zur Verortung der Geschehnisse.

Höfer versucht, die Gegend der Schlacht aus dem Bericht des Tacitus über den Feldzug des Germanicus des Jahres +15 zu ermitteln, in dessen Verlauf das alte Schlachtfeld aufgesucht wird. Auch hier sind es wieder die kleinen Details im Text, Anmerkungen zur Topographie, usw., welche die abschließende Verortung schlüssig erscheinen lassen.

Zur Kritik

Höfer konnte die Schlachtfeldfunde von Kalkriese noch nicht kennen. Sein Hauptargument gegen eine Römerschlacht in der Barenauer Gegend: „Wo sind die Waffenreste und Knochen neben den Münzen?“ ist damit gegenstandslos geworden. Seine anderen Argumente, denen zufolge dort zumindest die Varusschlacht nicht stattgefunden haben kann, besitzen aber weiterhin Gültigkeit. Und die Archäologie bestätigt ihn: Die Funde auf den Schlachtfeld und dessen Umgebung seit etwa 1988, die nie ein Beweis für die Varusschlacht am Ort waren, deuten inzwischen auf eine Beteiligung der 1. Legion hin, schließen also für Kalkriese die Varusschlacht weitgehend aus, denn dort sind andere Legionen vernichtet worden (auch wenn die 1. Legion das Schlachtfeld im Rahmen der Aufräumaktion besucht hat). Welche andere Römerschlacht in Kalkriese stattgefunden hat, muss derzeit offen bleiben.

Auch in den Zeitensprüngen ist über dieses Thema bereits ausführlich diskutiert worden [Kloppenburg 1999a/b; Albrecht 1999/2000]. Treffend auch die Anmerkung von Illig [1/1999, 81] in einer Ergänzung zu Kloppenburgs erstem Beitrag mit aktuellen Berichten über die Funde bei Kalkriese: „Warum sie allerdings gerade für die Schlacht im Jahre 9 n. Chr. zeugen, geht aus dem Text nicht hervor“. Mir scheint das inzwischen symptomatisch zu sein für Berichte über Funde in Kalkriese. Sieht man sich aktuelle Berichte in der Tagespresse an, so hat inzwischen ein interessantes Rückrudern der verantwortlichen Wissenschaftler eingesetzt, betreffend den Bezug Kalkriese – Varusschlacht [z. B. Pape 2009]. Vor dem Hintergrund der Untersuchungen Höfers drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei den Schlachtfeld-Funden von Kalkriese um einen Ausläufer der Schlacht am Angrivarierwall gehandelt hat, oder die Bestrafungsaktion des Stertinius gegen die Angrivarier oder um ein bei Tacitus nicht berichtetes kleineres Folgegefecht nach der Schlacht am Angrivarierwall.

Höfer macht eine große Annahme bei seinen Untersuchungen: Es handele sich bei „Lupia“ und „Amisia“ um die Flüsse Lippe und Ems. Ptolemäus führt „Lupia“ und „Amisia“ in seiner Geographia als Städte Germaniens auf. Zumindest „Amisia“ kennt er auch als Fluss. Höfer begründet die schlechte Qualität der ptolemäischen Daten über Germanien sehr gut, jedoch kann man Höfers simpler, nur wenig begründeter Verortung der Städte „Lupia“ und „Amisia“ an den jeweiligen Flüssen nicht so ohne weiteres zustimmen. Tacitus [Ann. I 70] lässt den Germanicus auf dem Weg nach „Amisia“ (zur Ems?!) zur Weser marschieren. Diese Stelle in den Annalen ist gewöhnlich mit einer Anmerkung markiert, die auf einen Fehler bei Tacitus hinweist. Was aber, wenn „Amisia“ (auch) eine Stadt an oder in der Nähe der Weser gewesen ist? Warum sollte Tacitus hier einen Fehler gemacht haben? Wenn hier, wo dann  noch? Welcher Ortsangabe in den Quellen darf man dann noch trauen? Höfer bespricht diese Stelle der Annalen ausführlich in seiner Schrift von 1884/85 über den Germanicus-Feldzug [Höfer 1885a]. Er bedauert die sich aus dieser Textstelle ergebende schlechte Qualität der geographischen Kenntnisse des Tacitus über Germanien bzw. dessen Quelle, aber es kommt ihm nicht ein einziges Mal der Gedanke, mit „Amisia“ könnte nun gerade nicht die Ems gemeint sein. An anderen Stellen verteidigt er Tacitus gegen Umstellungen und Umdeutungen, andererseits stimmt er solchen gelegentlich zu, wie z. B. bei Velleius [II: 105], wo aus „ad caput Juliae“ ohne weiteres „ad caput Lupiae“ werden darf.

Kippt jedoch diese große Annahme über Ems und Lippe, oder ist sie genügend zu erschüttern, dann fällt auch die ganze Untersuchung. Gänzlich neue Verortungen wären zu erproben, Versuche hierzu gibt es bereits reichlich [z.B. Friebe 1999]. Man wird sich für eine weitere Analyse alle Stellen in den Quellen mit offenen Augen daraufhin genau anschauen müssen, ob wirklich der Fluss oder die Stadt „Amisia“ gemeint ist. Ähnliches gilt auch für „Lupia“. Und es dürfte erforderlich sein, so weit wie möglich, auf die ‘Originaltexte‘ zurückzugehen, denn die heutige Auflösung der lateinischen, meist ohne Wortzwischenräume geschriebenen Texte zu Wörtern und Sätzen, ist ebenfalls fraglich [Otte 2007].

Und das alles lässt noch die ganze Fälschungsfrage außer acht. Höfer thematisiert am Ende des sechsten Teils zwar das Fälschungsproblem, jedoch mit einer positiven Endnote. Schon vorher hat er die prekäre Quellensituation, insbesondere für die Tacitus-Annalen 1-6 erwähnt.

Heute ist man da wesentlich weiter; die Literatur zu Fälschungen der Werke des Tacitus, aber auch anderer klassischer Autoren ist unüberschaubar [z. B. Hochart 1890]. Auch die Autoren der Zeitensprünge sind an dieser Diskussion nicht unbeteiligt [z.B. Anwander]. Selbst wenn viele dieser Werke erst in späteren Jahrhunderten erstellt wurden, so muss man, wenn möglich, klären, ob es sich um komplette Erfindungen handelt oder ob ‘Echtes‘ als Vorlage benutzt wurde. Suspekt macht es diese Quellen aber in jedem Fall.

Zum Abschluss

Trotz der obigen Kritik ist Höfers Die Varusschlacht ein herausragendes Beispiel für detaillierte und sorgfältige Quellenarbeit in Kombination mit eigener Anschauung durch Reisen und Untersuchungen vor Ort. Heutige Forschergenerationen können und sollten sich daran ein Beispiel nehmen; es ist methodisch wertvoll und absolut lesenswert. Leider ist das Buch antiquarisch fast nicht erhältlich und Bibliotheken lassen einen Interessenten das Buch als Werk des 19. Jh. meist nur noch im Lesesaal unter Aufsicht begutachten und  lesen. Daher werden zur Zeit Anstrengungen unternommen, dieses Buch und andere Texte Höfers zum Thema neu herauszugeben [4].

Literatur

Albrecht, Gisela (1999): Archäologie contra antike Schriftlichkeit. Eine Antwort auf Franz Kloppenburgs These; in ZS 11 (2) 228-230

– (2000): Zum Leserbrief von Franz Kloppenburg; in ZS 12 (2) 223-227

Anwander, Gerhard (2007): Auf den Spuren der Germania und anderer Fälschungen; in ZS 19 (2) 413-442

Friebe, F.H. Rainer (1999): „gesichert von Türmen geschützt vom Schwert, …“; Halberstadt

Hochart, Polydore (1890): De l’autenticité des annales et des histoires de Tacite; Paris; Teilübersetzung unter: http://www.ilya.it/chrono/pages/hocharttacitusdt.htm [5]

Höfer, Paul (21885a): Der Feldzug des Germanicus im Jahre 16 n. Chr.; Bernburg · Leipzig

– (1885b): [Feuilletonnotiz in der „Post“ vom 20. März]

– (1887): Zum Unterricht über die Römerzüge in Deutschland; in Zeitschrift für das Gymnasialwesen, Band 41, Septemberheft

– (1888): Die Varusschlacht, ihr Verlauf und ihr Schauplatz; Leipzig (Neuausgabe 2009 [4], Münster)

Kloppenburg, Franz (1999a): Quousque tandem … Wie lange noch verschließt man sich der eindeutigen Quellenlage für die Festlegung des Ortes der Varusniederlage? in ZS 11 (1) 73-81

– (1999b): Antike Schriftlichkeit contra Archäologie. Eine Antwort auf Gisela Albrecht; in ZS 11 (4) 579-582

Mötefindt, Hugo (1927): Paul Höfer; in Mitteldeutsche Lebensbilder, 2. Band: Lebensbilder des 19. Jahrhunderts; Magdeburg, S. 425-437

Mommsen, Theodor (²1885): Die Örtlichkeit der Varusschlacht; Berlin

Otte, Andreas (2007): Die Annales 1-6 des Tacitus. Eine kritische Betrachtung [6]; in ZS 19 (3) 617-621

Pape, Ernst Wilhelm (2009): Kalkriese auf dem Rückzug [7]; in Westfalenblatt, 16.01.