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Varus: Der Begriff „benachbarte heilige Haine mit ihren Opferaltären“ nach Tacitus

Versuch der Verortung des Sommerlagers des Varus

von Christian Hinder
(Teil 3, siehe hier [1] für Teil 2)

Grundlage: Beschreibung des Ortes der Niederlage des Varus durch Tacitus, als Germanicus diesen im Jahr 15 n.Chr. aufsucht.

Ganz bewusst mag ich hier nicht auf die immer wiederkehrenden Streitigkeiten über die mannigfaltigen Deutungsversuche des Begriffes Saltus Teutoburgiensis eingehen. Das haben schon so viele Generationen an Wissenschaftlern und Heimatforschern vor mir getan und werden es ganz sicher auch in Zukunft tun und die Öffentlichkeit mit immer neuen Deutungen zu überraschen wissen. Lediglich werde ich die Hauptdeutungs-Thesen des Begriffes Saltus Teutoburgiensis kurz „auf den Punkt“ mit anführen.

Objekt der Begierde und des sehnsüchtigen Verlangens nach einer Deutung für den o.g. Personenkreis ist die folgende Stelle bei Tacitus:

„Von dort aus führte man den Heereszug in die abgelegensten (Gebiete) der Brukterer und verwüstete möglichst (das Land) zwischen Ems und Lippe, nicht weit entfernt vom Teutoburger Wald, wo die Überreste des Varus und der Legionen unbestattet liegen sollen.“ Tacitus (Ann. 1,60,3).

Dazu stelle ich folgendes fest:

Eindeutige Ortsangabe: Auf das Gebiet zwischen Ems und Lippe!

Abgelegenste Gebiete der Brukterer: Kann nur bedeuten bis in die äußersten, entlegensten Winkel zwischen Lippe und Ems. Damit ist das Gebiet zwischen den Quellen von Ems und Lippe angesprochen. Die Quellgebiete sind vom Rhein aus tatsächlich weit abgelegen und lägen geographisch nicht weit entfernt von dem saltus teutoburgiensis. Die Quellen von Ems und Lippe befinden sich in der Senne. Dem zur Folge ist die Senne zu lokalisieren (als „entlegenste Gebiete“).

Saltus teutoburgiensis: Es spielt mE nur eine untergeordnete Rolle ob saltus nun Wald, Gebirge, oder einen Pass durch einen Wald oder über ein Wald-Gebirge zu irgendeiner Örtlichkeit beschreiben soll (manche sagen die Übersetzung müsse demnach soviel heißen wie: Pass zu dem Sitz des germanischen Gottes Teut/Tuisto), oder gar auf einen römischen räumlichen Bezirk, einen „saltus“ hindeuten soll.

Dadurch, dass im Vorfeld schon ein ausreichender Hinweis (s.o) durch Tacitus gegeben worden ist, haben wir ein klar geographisch zu definierendes Gebiet vor Augen. Ferner erlaube ich mir an dieser Stelle den Lippe Marschweg der Römer und dessen Bedeutung von Xanten bis zum heutigen Teutoburger Wald mit wenigen Worten darstellen und in Erinnerung zu bringen.

Die Lippe ist der längste Fluss in dem heutigen Bundesland Nordrheinwestfalen. Die Lippe mündet ungefähr in Höhe von Xanten in den Rhein und führt flussaufwärts bis in ihr Quellgebiet unmittelbar vor dem heutigen Teutoburger Wald. Von Xanten, dem ehemals römischen Standort Castra Vetera aus, führt die Marschroute der Römer Rtg Osten die Lippe flussaufwärts entlang. Das ist wissenschaftlich belegt. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Bis heute sind vier Römerlager entlang der Lippe archäologisch erschlossen worden. Als da namentlich flussaufwärts sind: Holsterhausen, Haltern, Oberaden, Anreppen.

In Haltern befindet sich noch heute ein ausgezeichnetes Römermuseum. In Anreppen bei Delbrück im Kreis Gütersloh überlegt man zZ ein solches zu bauen. Die Römerlager entlang des Lippe Marschweges im Einzelnen:

Römerlager Haltern

Schon im Jahr 1838 wurde auf dem Annaberg bei Haltern, von einem gewissen Major Schmidt aus Münster, ein römisches Kastell entdeckt. Der Verdacht drängte sich schon frühzeitig auf, dass hier das gesuchte Römerkastell Aliso sein könnte. So begannen die ersten gründlichen Ausgrabungen. Seit Anfang des letzten Jahrhunderts übernahmen F.Koep und anschließend A.Stieren archäologische Untersuchungen. Die Erforschungen wurden mit Pausen bis in die heutige Zeit fortgeführt, so dass Haltern im Moment das besterforschte Lager auf rechtsrheinischen Boden ist. Oder man müsste aber um genauer zu werden von mehreren Lagern sprechen, denn seit seiner ersten Belegung um das Jahr 8-6 vor Christus, ist dieses Kastell mehrmals umgebaut und erneuert worden. Es diente in seiner Endphase der Aufnahme von einer Legion, und durch den Fund eines Ziegelstempels ist der Aufenthalt der 19 Legion, die an der Varusschlacht beteiligt war und dabei ihren Untergang fand, belegt. Obwohl Haltern noch immer die meisten Alisobefürworter hat, kann es anscheinend nicht dieses gesuchte Römerlager sein. Denn diese Lager sind nach genauen Untersuchungen im Jahr der Varusschlacht zerstört, und nicht wieder neu belegt worden.

Römerlager Oberaden

Im Jahr 1873 gab es eine Theorie des F.Hülsenbach über das Vorhandensein eines Römerlagers in Oberaden an der Lippe. Am 15, August 1906 begann dort die erste Grabungskampagne, nachdem im Jahr zuvor der Pfarrer Otto Prein durch Interpretation von Orts- und Flurnamen, und genauen Geländebeobachtungen ein Römisches Kastell lokalisiert hatte. Die Wissenschaft frohlockte über einen zweiten Kandidaten in der Alisosuche. Einige Jahre lang dufte sich der historisch interessierte Geistliche als der Enddecker dieses vielgesuchten Römerlagers feiern lassen. Doch nach den ersten Ausgrabungen und der Auswertung der Ergebnisse, kam die kalte Ernüchterung. Das Römerlager Oberaden konnte nicht Aliso sein, denn zur Zeit der Varusniederlage gab es dieses Kastell schon lange nicht mehr. Seine Datierung fällt in die frühaugusteischen Germanenfeldzüge unter Drusus in den Spätsommer des Jahres 11 v. Chr. Mit seinen Ausmaßen von 56 Hektar diente es wahrscheinlich der Aufnahme von zwei bis drei Legionen. Es ist bisher immer noch das größte römische Militärlager in Deutschland, und das älteste welches auf rechtsrheinischen Boden errichtet wurde. Nachdem Tiberius im Jahr 8 v Chr. den Oberbefehl über die Germanischen Legionen erhielt, und mit den rechtsrheinischen Germanen Verträge abgeschlossen hatte, ist dieses Römerlager nach bisherigen Erkenntnissen planmäßig, im Zuge strategischer Neuordnungen, aufgelassen worden.

Römerlager Holsterhausen

Römische Amphorenscherben in Holsterhausen, am Unterlauf der Lippe, boten 1964 in der Alisosuche Anlass für neue Spekulationen. Bei den daraufhin eingeleiteten archäologischen Untersuchungen kam ein römisches Marschlager das jeweils nur kurzfristig belegt war, in den Fokus der Archäologie. Die dendochronologischen Datierungen ergaben, dass dieses Lager um die Zeit 11-7 vor Christus bestanden hat, und damit nur in der Frühzeit der römischen Eroberungsversuche eine Rolle spielte. Aus diesem Grund bestätigte sich der anfänglich aufkommende Alisoverdacht auch hier nicht.

Römerlager Anreppen

1965 entdeckte ein Landwirt bei der Anlage einer Rübenmiete in Dellbrück-Anreppen das bisher vierte Römerlager an der Lippe. Die Untersuchungen durch den Chefarchäologen S.Kühlborn ergaben, dass dieses Lager um das Jahr 4/5 nach Christus, wahrscheinlich durch den damaligen Statthalter Tiberius errichtet wurde. Man entdeckte in diesem Lager, dass für die Aufnahme einer Legion diente, ein Prätorium, das Wohnhaus des Kommandeurs, dass von seinen Abmessungen her, im Vergleich zu den anderen Lippelagern, um vieles größer und prächtiger ausgestattet war. Damit legte sich der Verdacht nahe, dass hier der jeweilige Statthalter sein Hauptquartier auf der rechten Rheinseite hatte. Dieses Kastell ist das Östlichste, aller bisher entdeckten römischen Lippelager, und mit diesem Standlager gab es neben Haltern, dass zur Zeit der Varusschlacht neben Anreppen existierte, einen neuen ernstzunehmenden Alisokandidaten der für sich beanspruchen konnte, möglicherweise das lange gesuchte Römerkastell zu sein. Aber dadurch, dass auch hier keine Belegungsspuren für die Jahre nach 9 gefunden worden sind, sondern im Gegenteil, in diesem Jahr das Lager einem Feuer zum Opfer gefallen ist, ist die Wahrscheinlichkeit das hier einmal der Standort des gesuchten Römerlagers war, relativ gering. Nachdem durch umfangreiche Untersuchungen bisher keines der vier entdeckten Lippelager archäologisch gesichert zum eindeutigen Alisokandidaten gekürt werden konnte, wartet dieses vielgesuchte Römerlager noch immer auf seine Enthüllung.

Die Lippe ist nachweislich mindestens bis zum Römerlager Anreppen schiffbar gewesen. Das bedeutet auf dem Schiffswege wurden auf ihr Waren und Güter mindestens bis zum römischen Standort Anreppen transportiert. Auf der Lippe wurden somit Handelswaren- sowie Versorgungstransporte laufend durchgeführt und dadurch der Nachschub und die Verpflegung für die Truppe sichergestellt. Somit war die Lippe der bedeutende Handels- und Nachschubweg Roms im östlichen Germanien. So etwas wie eine Hauptschlagader. Anreppen ist das östlichste der Römerlager entlang der Lippe und hat räumlich gewaltige Ausmaße. Es bestand bis zur Vausschlacht und wurde bei allem was man bis heute an wissenschaftlichen Erkenntnissen hat, durch Roms Truppen in späterer Zeit wohl nicht wieder aufgebaut. Wenn also die Lippe eine herausragende Bedeutung als Marsch- und Versorgungsweg für Rom und seine Legionen besessen hat, warum soll dann der Saltus Teutoburgiensis nicht auch in der Nähe (zwischen) zum Quellgebiet der Lippe und Ems liegen? Bislang ist mir kein weiterer Fluss bekannt, der eine solche Bedeutung bei den Vorstößen in den Osten Germaniens und für die Besiedlungspolitik Roms zur Augusteisch/Tiberischen Zeit besessen hat….

Die weitere Beschreibung der Örtlichkeit durch Tacitus erwähnt ausdrücklich mehrere heilige Haine die sich in der Nähe zum Kampfplatz befunden haben, das ist auffällig und stellt eine Besonderheit dar. Sonst hätte Tacitus das in seinen Annalen wohl nicht so vermerkt. Wo befindet sich ein solcher Ort, der die Bedeutung besitzt, dass dort gleich mehrere Opferaltäre stehen. Und was muss das für ein Ort sein, der in mehrere heilige Haine aufgeteilt ist? – Und „benachbart“, also in der Nachbarschaft zum Ort der Niederlage des Varus gelegen haben muss? „Benachbart“ bedeutet wohl eher nah als fern. Wie nah oder wie fern vom Ort des Gemetzels entfernt die heiligen Haine wirklich, also tatsächlich lagen, geht aus der Angabe nicht wirklich hervor. Da aber bekannt ist, dass Rom die Glaubenswelt der Völker im römischen Reich respektierte, ist nicht zu erwarten, dass Varus sein Sommerlager in unmittelbarer Nähe zu einem germanischen Heiligtum gebaut haben wird. Das entsprach nicht den Gepflogenheiten und der Weltanschauung Roms.

Im Gegenteil, durch ein solch unbesonnenes Verhalten hätte man die Germanen ganz sicher nur gereizt. Wenn die Paderquellen bei Paderborn ein heiliger Ort für die Germanen gewesen ist, dann wird Varus sie geachtet haben. Allein schon aus politischen Gründen. Geeignete Örtlichkeiten und Wasser gab es in der Region in „den äußersten Winkeln des Landes der Brukterer“ genug. Wenn die Paderquellen ein heiliger Ort für die Germanen war, dann wurde dort auch geopfert, d.h. Opfergaben niedergelegt. Das mag die Fibeln erklären, die man in PB gefunden hat (Hinweis auf Bad Pyrmont). Es ist aber geographisch zutreffend, die Senne als Ort für das Sommerlager des Varus zu verorten und es dort zu suchen.

Eine Römerstrasse führt vom römischen Lippelager Anreppen schnurgerade auf Oesterholz zu. Hier bei Oesterholz treffen alte, frühzeitliche Verkehrs- und Handelswege aufeinander. In vergangenen Tagen war Oesterholz ein Verkehrsknotenpunkt mit herausragender Bedeutung. Bis zur Einführung der Motorkraft. Wie bedeutend Oesterholz, unmittelbar am Sennerand gelegen, von je her für die Menschen schon in der Vor- und Frühgeschichte gewesen sein muss, zeigt das bronzezeitliche Gräberfeld mit seinen 300 Grabhügeln. Nur ein Teil der Grabhügel ist bislang tatsächlich archäologisch erschlossen worden.

Aber zurück zur römischen Eisenzeit. Zuletzt wurde im Jahr 2004 durch die Kreisarchäologie des Kreises Lippe bei Oesterholz in Höhe des ehemaligen „Finkenkruges“ römische Geschoßbolzenteile gefunden, gemeinsam mit römischen Münzen. Archäologisch erschlossen wurde eine nur sehr kleine Fläche. Ferner wurde an selber Stelle in den dreißiger Jahren des 20.JH bei Grabungen dort Pilumspitze und Zwinge gefunden, Münzen und Keramik. Der Landwirt, der dort das Feld bestellt hat u.a. immer wieder Keramikfunde gemacht.

Nachzulesen in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 74. Band 2005

Vielleicht macht es Sinn hier bei Oesterholz näher einzusteigen, denn es stellt sich schon die berechtigte Frage:

Wie gelangen dort Teile von römischen Waffen, römische Münzen und Keramik in den Boden? War dort eventuell ein Römerlager – oder gar ein Kampfplatz? Wären wir in Kalkriese würde man angesichts solch einer Fundlage nicht lange fackeln. Dort würde man ganz sicher frohlocken und sich im Übrigen wieder einmal völlig sicher darüber sein, weitere bedeutende Funde und bedeutende Indizien für die Varusschlacht gefunden zu haben…. Und sogleich würde man eben so sicher die Öffentlichkeit mit neuen Sensationen beglücken….. So unterschiedlich kann man mit Dingen umgehen und sie interpretieren…. Ist das nicht schön wissenschaftlich mit der Wissenschaft? Lieb Lipperland magst weiter ruhig sein. Ein Schuft der dabei böses denkt. Als „benachbarte heilige Haine mit den Opferaltären“, wie von Tacitus berichtet, verorte ich die Externsteine bei Holzhausen. Sie liegen unweit von Oesterholz und sind von dort aus zügig zu erreichen.