- Die Logistik des Varus - http://www.logistik-des-varus.de -

WB 13.11.2008: Varus fiel nachweislich nicht in Kalkriese

Neue Aufsatzsammlung vorgestellt – Autoren entlarven Tricks und Täuschungsmanöver

Von Matthias Meyer zur Heyde

Bielefeld (WB). Die Aussage, Varus sei bei Kalkriese vernichtet worden, lässt sich nur halten, wenn man gegen zahlreiche wissenschaftliche Methoden verstößt. Diese klare Position belegen die Autoren eines neuen Buches zu der epochalen Schlacht in Ostwestfalen-Lippe.

»Die Festung Kalkriese muss bis [zum Abschluss der Feierlichkeiten; d. WB-Red.] 2009 gehalten werden.« Dieser Vorwurf Prof. Siegfried G. Schoppes, der an der Universität Hamburg Wissenschaftliche Methodik lehrt, bündelt in einem einzigen Satz die unsaubere Informationsstrategie der Kalkriese-Befürworter. Wer die Aufsätze der hier versammelten Wissenschaftler und in Abstimmung mit den Spezialisten forschenden Privatgelehrten gelesen hat, kann sich der Erkenntnis nicht länger verschließen, dass bei Bramsche »Geschichtsfälschung« (Schoppe) im Dienste der Tourismusförderung unter Hintanstellung wissenschaftlicher Redlichkeit betrieben wird.

Das fängt bei unhaltbaren Zuordnungen von Münzen an: Man verschweigt die Inschrift L(egio) P(rima) A(ugusta) für die I. Legion, weil diese keine Varus-Legion war (sondern unter Caecina kämpfte – 15 n.Chr.), und verkauft in einem anderen Fall das »I« wahrheitswidrig als Zeichen einer »1. Kohorte in der 1. Centurie«.
Das geht mit Forschung weiter, die man nicht zur Kenntnis nimmt: Laut Dendrochronologie (Bestimmung von Baumringen) wurden die für ein nahes Römerlager und Bohlenwege benutzten Bäume einerseits 4 n.Chr., andererseits erst 15 n.Chr. gefällt.
Und das endet noch lange nicht bei wilden Hakenschlägen in der Argumentation: Aus Frustration darüber, dass in Kalkriese nur ein unbedeutendes Scharmützel ausgegraben wird, rechnet man die Zahl der Legionäre von 20 000 (ohne Tross!) auf die Hälfte herunter und verkündet, Varus sei »nicht wirklich« untergegangen. »Die erste virtuelle Schlacht?«, fragt Schoppe konsterniert.
Was die Autoren des Sammelbandes beweisen können, lässt von Kalkriese nichts mehr übrig. Einleitend erläutert der Militärspezialist Wolfgang Schlüter – einer der beiden Herausgeber und nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen ehemaligen wissenschaftlichen Leiter des »Kalkriese-Kartells« (Schoppe) -, wie man sich den Marsch der Legionen samt Tross und ihr Verhalten im Kampf vorzustellen hat. Er weist nach, dass die Römer unter günstigsten Umständen vom Sommerlager an der Weser bis maximal 25 Kilometer vor Kalkriese marschiert sein können. Die in antiken Quellen genannten Geländeformationen passen nicht zu Kalkriese, und die Frauen und Kinder hätten sich über eine Distanz von 110 Kilometern ins Römerlager Aliso (an der Lippe) retten müssen.
Vier der zwölf Beiträge stammen aus der Feder des Münzkundlers Wolfgang Lippek, der in enger Anlehnung an die Quellen Kalkriese ins Land der Fabel verweist: Wie man es auch dreht und wendet – der Ort liegt eben nicht »zwischen Weser und Ems«, wie es Tacitus in den Annales beschrieb.
Auch lässt er die Luft aus einem beliebten Argument, demzufolge ergrabene »Knochenberge« (Grabhügel), von Germanicus angelegt, auf Kalkriese verweisen sollen: Tatsächlich sind, wie Sprachforscher nachwiesen, ossa (Gebeine) Synonyme für reliquiae (Knochenreste nach Leichenverbrennung) zu verstehen – im Römischen Reich wurden Tote eingeäschert. Was immer die Knochenfunde von Kalkriese also aussagen mögen, auf 9 n.Chr. gefallene Legionäre, von Germanicus sieben Jahre später bestattet, verweisen sie nicht.
Abgesehen von Lippeks aufschlussreichen Analysen zu Münzinschriften und Bodenfunden im Kontext literarischer Quellen ist auch seine Sammlung von Aussagen der Kalkriese-Befürworter lesenswert. Darin zeigt er, wie die Ausgräber – für den Laien gar nicht erkennbar – ihre Funde in ihre Wunschvorstellungen (Kalkriese = Varusschlachtort) einpassen. Ein Prokrustesbett.
Andere Autoren dieses Sammelbandes, der nicht nur Philologen und Historikern ein Forum bietet, sondern auch Astrophysiker und Geographen zu Wort kommen lässt, zeigen ebenfalls, wie eng der Untergang der Varus-Legionen mit Ostwestfalen-Lippe verknüpft ist. Schlüters/Lippeks Varus-Buch erscheint in einer Auflage von 2000 Exemplaren. Ihm ist eine deutlich größere Verbreitung zu wünschen.


Wolfgang Schlüter/Wolfgang Lippek (Hg.):
Die Schlacht – Plausible Gründe zur Varuskatastrophe in Ostwestfalen-Lippe;
Osning-Verlag Bielefeld 2008, 276 Seiten, 19,95 Euro;
ISBN 978-3-9806286-6-6.